Leseprobe - I. und II. Kapitel
Bodenlos
Als ich geboren wurde, da
schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Meine Mutter hatte mich in einer stürmischen
Nacht zur Welt gebracht, in einem kleinen Wagen außerhalb der Stadt. Mein Vater erzählt
mir heute noch davon, wie er zur Hilfe kommen musste, weil ich bei der Geburt falsch
gelegen hatte und somit nicht den Weg nach draußen in die Welt alleine gehen konnte. Es
war am gewittern, der Regen war die Scheiben herab gelaufen. Heute sagen mir viele
Menschen, der Himmel hätte damals Tränen fallen gelassen, weil er seinen schönsten
Stern in dieser Nacht verlor. Ich weiß nicht, wie ich darüber denken soll. Gerne hätte
ich es geglaubt, aber ich war doch ein kleines Baby. Wie konnte jemals jemand ahnen, was
aus mir werden würde.
Wie oft schon habe ich mir den Tag meiner Geburt vorgestellt. Und manchmal schien es, als
könnte ich mich wirklich noch daran erinnern:
Ich sehe mich in einer dunklen Nacht. Umgeben von kleinen Lichtern, die wie fallende
Sterne mir den Weg zeigen wollen. Doch wo bin ich? Ich stehe mittendrin. Und warte darauf,
dass etwas kommt. Etwas, was mir helfen könnte alles zu verstehen. Warum werden Menschen
geboren, wenn es doch so schön sein soll, wo wir alle herkommen. Und warum werden wir
alle dieser Prüfung ausgesetzt, wenn es doch nur wieder eines Tages zurück an den Ort
gehen sollte, wo wir alle herkommen. War es wirklich nur eine Prüfung, in der wir uns
bewähren sollten?
Und meine Prüfung schien am aller schwersten. Ich habe keinerlei
Vergleichsmöglichkeiten. Ich kann nicht sagen, wie es gelaufen wäre, wenn ich in eine
andere Familie hinein geboren wäre, oder vielleicht auch einfach nur unter anderen
Umständen. Vielleicht ist alles auch voraus bestimmt gewesen und es liegt nur an meinem
ICH... an mir als Person, die mich wirklich ausmacht und die ich immer sein wollte. Wollte
ich das? Wollte ich mein Leben lang hier wohnen und meine Kindheit einem Ziel opfern, dass
ich schon lange erreicht habe, mich aber dennoch nie vollkommen zufrieden gestellt hat?
Wer kann mir das sagen?
Lieber Leser, ich denke, ich muss sie erst einmal aufklären. Vielleicht kennen sie mich
gar nicht. Vielleicht werden sie mir auch nicht glauben. Oder sie werden denken, es sind
nur die verwirrenden Notizen eines jungen Mannes, der gerade 20 Jahre alt geworden ist und
an einem Punkt angelangt, wo man sich selber neu entdecken muss. Aber bei mir gibt es
nichts mehr zu entdecken. Meine Persönlichkeit steht seit Jahren fest. Ich kann mich
verändern, aber dennoch nicht das Bild, das andere von mir haben. Es ist zu tief, viel zu
festgefroren in den Köpfen der Menschen, die mich so sehen, wie sie mich sehen wollen.
Wie ich mich ihnen zeige, und wie ich mich geben möchte. Denn die Reaktionen der Anderen
ist nur ein Spiegel seiner Selbst. Und jeder gibt sich doch von der besten Seite. Erst
recht jemand, den die Welt zu sehen bekommt.
Sie werden mich also kennen. Da bin ich mir sicher. Und sie werden genauso ein Bild von
mir haben, wie ich es ihnen zum ausmalen gebe.
Ein kleiner Junge, der lachen, singen und spielen kann. Liebe? Nein, ich liebe meine
Musik. Freundin? Nein, hatte ich noch nie. Ich bleibe der Musik treu. Familie?
Unterstützt mich. Fans? Meine besten Freunde, ich liebe sie und bin dankbar dafür, dass
sie mich erst soweit gebracht haben. So weit, dass ich manchmal gar nicht mehr weiter
weiß. Ich stehe am Abgrund, und kann dennoch keinen Schritt mehr weiter. Ich versinke im
Meer und kann dennoch den Schwimmring nicht abnehmen...
Bin einfach Bodenlos, ohne eine Begründung und ohne Halt.
So muss es sein. So muss es stehen, das perfekte Bild.
Alles Lüge? Nein, auch das kann ich nicht behaupten. Ich kann es nicht in Worte fassen.
So viele Lieder habe ich geschrieben. Was sie sagen? Hören sie es sich an, und sie werden
es wissen. Doch was kennen sie dann von mir? Was wissen sie davon, wie ich morgens
aufstehe und mir die Zähne putze... was wissen sie davon, wie ich reagiere, wenn mir mal
wieder jemand seine Liebe gesteht? Garnichts wissen sie, und ich werde mich hüten, ihnen
etwas zu sagen... denn das Bild bleibt bestehen.
Ich bin jetzt 20 Jahre alt, fühle mich wie ein alter Mann, der alles gesehen und gehört
hat. Ich habe so viel erlebt, war überall auf der Welt, habe Millionen verdient und stand
in allen Zeitungen. Und dennoch längst nicht genug... wo bleibt meine Befriedigung?
Was ist das nächste Ziel, dass ich erreichen möchte?
Wenn ich Zeit hätte, es heraus zu finde, dann würde ich es tun. Ich würde einmal tief
in mich gehen, mir alle Zeit der Welt nehmen und einen kleinen Gedanken an mich selber
verschwenden. Doch wo ist die Zeit? Und was wird aus dem perfekten Bild, wenn ich es in
mir selbst zerstören werde...
Sie wollen mich kennen lernen? Sie wollen wissen, wie, und vor allem wer, ich bin? Gut,
finden sie es heraus, aber fragen sie nicht mich. Ich weiß es nicht!
Fragen sie die kleine Nina, und die kleine Gritt... fragen sie all die Mädchen vor meiner
Haustür. Fragen sie all die Mädchen, die mich verfolgen, beobachten und nahezu studiert
haben. Sie wissen es, sie kennen mich. Sie können es ihnen erklären. Sie werden
vielleicht sagen: Er ist ein lustiger Kerl, er ist offen und herzlich. Oder
sie werden ihnen sagen: Er ist sehr traurig. Kommt mit allem nicht klar,
verschließt sich oft, ist ein Denker und Romantiker.
Aber es ist ganz egal was sie sagen werden, sie wissen es besser.
Vielleicht sollte ich wirklich selber hingehen und fragen, wer ich eigentlich bin.
Vielleicht werden sie es irgendwann einsehen...
Vielleicht, wenn ich ihr Bild zerstöre, mich nicht mehr so gebe, wie sie es gerne
hätten. Aber wahrscheinlich werden sie sich dann auch nur ein neues Bild beschaffen, und
mich weiterhin analysieren.
Also frage ich euch: Wer bin ich?
Gut, ich bin Fabio. Aber wer ist Fabio? Ist es der Mann, der mich im Spiegel anschaut?
Oder ist es der Mann, der sich selber nicht versteht, nicht weiß, wie er zu all dem
stehen soll. Nicht weiß, wieso er all dem nicht einfach ein Ende setzt... wo ihn doch
angeblich alles so fertig macht?!
Findet es heraus, ihr kennt mich ja alle so gut!
Oder etwas nicht?
Kopflos
Wissen sie, was mir letztens passiert ist? Natürlich nicht, also lassen sie es mich
erzählen:
Ich stand in einem Supermarkt. Es war nicht hier, nicht an einem Ort, wo man mich kennt,
sondern an einem Fleck auf der Erde, wo man mich noch unvoreingenommen und manchmal auch
dementsprechend taktlos ansieht. Um plötzlich stand diese alte Frau vor mir. Sie hatte
weißes Haar und ging leicht gebeugt. Und dennoch kam sie geradewegs auf mich zu, nahm
mein Kinn zwischen die Hände und sah mir tief in die Augen. Ihre Worte werde ich niemals
vergessen:
Ich habe noch nie so wertvolle Augen gesehen.
Oh mein Gott, was habe ich für eine Angst gehabt, ich riss mich los, und rannte davon.
Ich rannte kopflos aus dem Laden und beruhigte mich erst wieder, als ich im Hotel war.
Was hatte sie gemeint? Und wieso hatte ich solch eine Angst? Wertvolle Augen... wertvoll,
im Sinne von kostbar? Im Sinne von ... in Geld umsetzbar? Was hatte sie bloß gemeint?
Klar waren meine Augen wertvoll. Alles war wertvoll an mir, und wenn es ein Stück
Scheiße war. Es würden sich genug Menschen finden lassen, die einen Heiden Batzen Geld
dafür zahlen würden, ganz egal, ob man mich in Stücke reißen oder gar zerstören
müsste.
Und da würden meine Augen sicher einen guten Preis erzielen.
Aber irgendetwas sagt mir, dass die alte Frau es nicht so meinte.
Was ist überhaupt die Sache, die mich ausmacht. Wofür werde ich geliebt? Habe wirklich
solch ein Talent, solch eine schöne Stimme oder sehe ich wirklich einfach nur so süß
aus? Und werde ich immer noch so geliebt werden, wenn die Mode vergeht, andere Dinge und
Menschen gefragt sind und ich vielleicht auch irgendwann älter werde...
Ich hatte eine recht harte Kindheit. Meine Mutter starb, als ich gerade mal 3 Jahre alt
war und mein Vater hatte mich und meinen Bruder oft einander ausgesetzt, das zutun, was
wir tun sollten. Für ein kleines Kind ist es etwas anderes. Ich konnte nicht sagen, ich
will das nicht. Denn was wollte ich schon? Was weiß ich Kind von dem, was gut für es
ist. Es war einfach so, eine Tatsache, die ich nicht anders kannte und wo ich niemals
daran gedacht hätte, es ändern zu wollen. Erst viel später begann alles, außer
Kontrolle zu geraten, und ich fing an, mir Gedanken zu machen. Was sollte ich denken? Ich
hätte vielleicht die Möglichkeit jetzt alles zu beenden, doch was bleibt mir dann? Ich
sage ihnen die Wahrheit... und denken sie daran, wahre Worte sind niemals schön. Und
schöne Worte sind niemals wahr! Stellen sie mir ein paar Fragen...
Warum ich nicht aufhöre?
Nun gut, es gibt viele Gründe... bitte fragen sie anders.
Ist es wirklich die Liebe zur Musik?
Oh ja, das ist es. Ich liebe meine Musik, doch ich liebe es vielleicht nicht, sie mit
hirnlosen, und kopflosen Menschen zu teilen.
Warum ich dennoch Konzerte gebe?
Weil es einfach mein Job ist.
Reine Geldgier?
Diese Frage könnte ich auch an sie stellen. Nennen sie mir einen Menschen, der nicht Geld
verdienen will. Das müssen wir doch alle. Und da ich nun mal Musiker bin, schöpfe ich
daraus auch alle Möglichkeiten, die mir Geld einbringen. Welcher normale Mensch würde
das nicht tun? Ich bin nicht Mutter Theresa!
Wie ich zu den Fans stehe?
Ich sagte ihnen bereits schon einmal vor einiger Zeit, dass sie meine besten Freunde sind.
Viele sind einfach nur Mittel zum Zweck. Ich bringe ihnen Zufriedenheit mit meiner Musik
und einem Lächeln und sie bringen mir das Gefühl, wirklich etwas erreicht zu haben, Geld
zu verdienen und stets on the top zu sein.
Ist das alles verboten? Bin ich
deswegen ein schlechter Mensch, weil ich einfach nur menschlich bin? Und auch ich habe
meine Fehler, Sehnsüchte und muss viele Erkenntnisse machen, die vielleicht falsch,
vielleicht aber auch richtig sind. Also lassen sie mir die Zeit, mich selbst zu erkennen
und mir meine Fehler einzugestehen.