Leseprobe - Die Kraft der
Träume
..... Kathy blickte in den
Rückspiegel und setzte den Wagen langsam zurück. Verdammt, warum müssen
Stadtplaner die Parkplätze immer so eng machen? Verärgert nuschelte sie vor sich
hin.
Du hättest ja am
Straßenrand parken können. War genug Platz, zwitscherte ihr eine leise hämische
Stimme ins Ohr. Zum Teufel ja, aber nun kurbelte sie auf diesem blöden
Parkplatz herum. Für einen kurzen Moment schaltete sie ihre Gedanken ab, dachte weder an
Alex noch daran, wie sie sich fühlte, fuhr von der Parkfläche und ordnete sich zügig
hinter einen vorbeifahrenden Kleinwagen ein.
Jesses,
murmelte Kathy, was ist heute nur wieder auf den Straßen los. Als wenn Weihnachten
völlig überraschend vor der Tür stände und jeder nur den heutigen Tag zum Einkaufen
hätte.
Weihnachten! Das war das
Stichwort. Sie hoffte, dass sie die nächsten Tage halbwegs durchstehen würde. Vielleicht
sollte sie sich einfach zu Hause einschließen, das Telefon abschalten und erst wieder aus
ihrem Mauseloch kriechen, wenn Alex bereits im Flieger nach Australien saß.
Nein! Diesen Triumph würde
sie ihm nicht gönnen. Außerdem war sie ziemlich sicher, dass weder Carl noch Jo dieses
zulassen würden. Eher würde die Welt untergehen. Letztlich hatte sie die beiden am
gestrigen Abend über ihr heutiges Vorhaben informiert und von daher erwarteten sie mit
Sicherheit, dass sie zum Festessen erschien. Außerdem, so häufig wie vorhin ihr Handy
gebimmelt hatte, hatten sie sich sicherlich schon auf die Suche nach ihr gemacht.
Carl und Lennard hatten die
Idee geboren, dass sie alle den Heiligabend gemeinsam verbringen sollten, und nach dem
letzten Stand der Dinge wären sie summa summarum elf Personen. Das hieß, neben Carl,
Lennard, Jo und ihr wären da auch noch Lennards jüngster Bruder Mark mit seiner Frau
Sara. Desweiteren Matthis, ein Jugendfreund von Carl und ihr, der seinen gerade aktuellen
Lover Nick mitbringen wollte. Außerdem Isabel, von allen nur Isa genannt und
Mitarbeiterin von Mark. Isa wollte wiederum ihren Bruder und dessen besten Freund
mitbringen.
Gegen den Grundgedanken als
solches hatte sie in der Tat nichts einzuwenden, wenn da nicht die für sie fast völlig
Fremden wären. Die Vorstellung, dass Fremde ihre derzeitige Situation mitbekamen, war ihr
höchst unangenehm.
Ich könnte mich ja
wegen grässlicher Kopfschmerzen entschuldigen, nuschelte Kathy wenig überzeugt von
dieser Idee und blockte sogleich weitere Überlegungen in diese Richtung ab.
Sie erinnerte sich daran
wie viel Freude Lennard allein schon bei der Planung gehabt hatte. Ihm jetzt abzusagen,
brächte sie schlicht nicht über sich. Natürlich war ihren Freunden klar, dass sie nur
kommen würde, wenn alles andere nicht so lief, wie sie es sich vorstellte. Das war
selbstverständlich! Doch die Möglichkeit, dass ihre Wünsche zur Realität wurden,
hatten Carl, Jo und Len, da sie Alex kannten, schon im Vorfeld als Fiktion abgetan.
Und dann war da auch noch
Jo. Als ihr der Gedanke an Jo durch den Kopf schoss, überkamen sie unvermittelt
Gewissensbisse.
Es war etwas über zwei
Jahre her, dass Jo ihren Mann Chris verloren hatte. In einem Betrieb der freien Wirtschaft
hätte man es einen Arbeitsunfall genannt, aber Chris war Polizist gewesen. Wie hatten
seine Vorgesetzten es damals auf der Trauerfeier formuliert? In Ausübung seiner
Pflicht zu Tode gekommen.
Ha, schnaubte
Kathy verbittert, zu Tode gekommen, dass ich nicht lache. Chris war erschossen
worden. Sein Partner hatte Jo die Nachricht überbracht, nachdem er sie selbst
damit Jo mit ihrer Trauer nicht allein bleiben musste abgeholt hatte. Carl und sie
hatten Jo damals geholfen das Unfassbare zu verstehen und zu ertragen. Aber seitdem hatte
Jo nirgendwo anders mehr übernachtet, war von Partys immer früher als alle anderen
verschwunden oder erst gar nicht erschienen. Doch dieses Mal hatten Carl, Len und sie
keine Ruhe gegeben, bis Jo sich endlich bereit erklärt hatte, diesmal mit von der Partie
zu sein.
Und wenn Jo den Mut
zu diesem Schritt aufbringt, führte Kathy den Monolog mit sich selbst weiter,
dann kannst du dich auch zusammenreißen. Du hast dich schließlich nur von Alex
getrennt. Tja, und wenn sie ganz ehrlich war, freute sie sich auch auf die drei Tage
und darauf, sie mit ihren besten Freunden zu verbringen.
Ihre Gedanken schweiften zu
Carl und wie sie beide damals Lennard kennen lernten. In jenen Tagen im letzten Jahr, als
sie eine Menge Wut auf Alex im Bauch hatte und aus lauter Frust mit Carl auf den Jahrmarkt
marschiert war. Als sie bis auf die Achterbahn, Carl meinte sein Hot Dog würde ihn sonst
wieder begrüßen, alle möglichen Fahrgeschäfte ausprobiert hatten, wollte Carl noch
etwas trinken. Deshalb waren sie zu einem Bierstand gegangen, der recht gut besucht war.
Kurz nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, wurde es auch schon laut. Neben ihnen
stand eine Gruppe junger Männer, welche einen einzelnen Mann, der sich später als
Lennard vorstellte, anpöbelte. Sie hatte es noch nie ausstehen können, wenn sich
Größere an Kleinere, Stärkere an Schwächere oder mehrere an einem Einzelnen vergriffen
und bevor Carl sie hatte zurückhalten können, war sie auch schon mitten im Geschehen.
Als sich dann auch noch einer von den bösen Buben an ihr vergreifen wollte und sie
überdies aufs Übelste beschimpfte, kamen ihr Carl und endlich auch die anderen
Umstehenden zur Hilfe. Gemeinsam hatten sie diese pöbelhaften Rowdys dann in die Flucht
geschlagen und ihren Triumph danach noch mit einem Bier begossen. Für mehr hatte es aber
auch nicht mehr gereicht.
Um nach Hause zu kommen,
musste ein Taxi her, was gar nicht so einfach zu beschaffen war. So wie sie aussahen,
wollte keiner der Taxifahrer sie mitnehmen. Nachdem endlich ein Taxi gehalten, sie dessen
Fahrer davon überzeugt hatten, dass sie nicht betrunken waren, sondern nur um ihr Leben
gekämpft hatten, fuhr dieser sie zu Kathys Wohnung. Lennard, den sie spontan mitgenommen
hatten, bedankte sich während der ganzen Fahrt unablässig.
Einer nach dem anderen
gingen sie ins Bad. Carl und Lennard reinigten so gut es ging ihre Klamotten, sodass sie
wieder einigermaßen zivilisiert aussahen, von blauen Augen und einigen Prellungen mal
abgesehen.
Während Len schilderte,
wie es zu dem Zwischenfall gekommen war, bereitete Carl ihnen einen Drink. Irgendwann
zwischen dem zweiten und dritten Drink hatte es dann gewaltig zwischen Carl und Lennard
gefunkt. Sie hatte das erst einmal mit Argwohn betrachtet, schließlich machte man sich
Sorgen um seine Freunde, kam aber schnell zu dem Schluss, dass Len es ehrlich meinte und
nicht der Typ Von-Blume-zu-Blume war. Sie redeten die halbe Nacht und am
Morgen waren Carl und Lennard gemeinsam abgezogen.
Tja, und wenn man das
alles bedenkt, was machen da schon drei Fremde bei diesen Freunden. Und ein bisschen
schlechte Stimmung wegen einer ohnehin schon längst fälligen Trennung, murmelte
sie ein wenig spöttisch. Fremde konnte man kennen lernen, Alex nur vergessen und
außerdem würde sowieso alles gut.
Eindringliches und
unfreundliches Hupen riss Kathy aus ihren Gedanken. Sie registrierte, dass sie an der
Ampel die Grünphase hatte verstreichen lassen und entschuldigte sich augenblicklich per
Handzeichen. Der Typ hupte einfach weiter.
Oh Mann,
schnaubte Kathy, jetzt ist wieder Rot. Sieht der das denn nicht? Im
Rückspiegel sah sie, wie der Mann im Wagen hinter ihr hektisch mit den Armen
gestikulierte und ihr mit beiden Zeigefingern einen Vogel zeigte.
Also wirklich, jetzt
reicht es mir aber, verdammt noch mal, fluchte Kathy. Plötzlich brach der gesamte
Frust und ihre aufgestaute Wut auf Alex aus ihr heraus. Ohne weiter über eventuelle
Konsequenzen nachzudenken, sprang sie aus ihrem Wagen, stürmte auf das hinter ihr
stehende Fahrzeug zu, riss die Fahrertür auf und ließ ihre Wut auf den völlig
überraschten Mann niederprasseln.
Was fällt Ihnen ein,
mich auf so unhöfliche Art und Weise anzuhupen, was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?
Meinen Sie denn, diese Straße gehört Ihnen allein? Ich zahle schließlich auch Steuern,
außerdem haben wir Weihnachten und da sollen alle Menschen nett miteinander sein und
glauben Sie mir, wenn Sie meine unerfreulichen Erlebnisse heute schon hinter sich gebracht
hätten, dann würden Sie auch nicht mehr auf eine grüne Ampel achten. Stellen Sie sich
mal vor, Sie hätten sich gerade eben von Ihrer Frau oder Freundin getrennt, wie kämen
Sie sich da denn vor, wenn man Sie dann so anhupt?
Ich habe keine Frau
oder Freundin, murmelte der vollkommen aus der Fassung geratene Mann verdutzt.
Na, dann seien Sie
doch froh, schimpfte Kathy weiter, warf schwungvoll die Autotür zu, drehte sich in
einer abrupten Bewegung um und marschierte geradewegs wieder zu ihrem Wagen, warf sich
hinein und fuhr, als die Ampel auf Grün sprang, mit quietschenden Reifen an. Fünf
Minuten später ......