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Mara
Der steinige Weg einer geschundenen Kinderseele...


 

Mara wird 1963 in der Schweiz als Immigrantentochter geboren. Fünf Jahre darauf kehrt die Familie ins Armenhaus Sizilien zurück. Dort darf Mara nie Kind sein und wird nur zur Frau, weil die früh einsetzende Natur stärker ist als die Mutter. Der Lebensdruck treibt diese in übermässige Härte gegenüber den Kindern, Mara wird zu einem privat wie beruflich gefundenen Opfer herangezogen. 1979 emigriert die Familie endgültig in die Schweiz, Mara muss sich völlig neu orientieren, lange läuft ihr Leben schief. 1984 bekommt sie das erste von fünf Kindern. Trotz widrigster Umstände behält sie das Herz am rechten Fleck und arbeitet ihre Traumata auf. Sie kämpft, bis sie ihr Leben in die Hand nehmen und gestalten kann. Heute steht Mara mit beiden Füssen auf dem Boden und freut sich am Leben.

Mara - Der steinige Weg einer geschundenen Kinderseele...

 

Anmerkung: Mara möchte aus verständlichen Gründen weitgehend anonym bleiben. Statt einer Web- oder eMail-Adresse veröffentlichen wir desshalb hier einen Link auf ihr Buch. Wer mit Mara Kontakt aufnehmen möchte, der kann dies über die beim Verlag hinterlegte eMail-Adresse.

 

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Mara
Der steinige Weg einer geschundenen Kinderseele...

 

Aufwachsen in Sizilien

Mit zehn begann ich zur Frau zu werden. Meine Mutter meinte lediglich, dass ich mich von Jungen fernhalten müsse und drohte mit Schlägen, falls ich nicht gehorchte. Sie fand ohnehin immer einen Grund, mich zu schlagen, am liebsten mit einem Stück Wasserschlauch. Manchmal war ich grün und blau von Kopf bis Fuss. Oft hagelte es Ohrfeigen oder sie zerrte mich an den Haaren und schlug meinen Kopf gegen die Wand. "Ich bringe dich um! Ich habe dich zur Welt gebracht, nun zerstöre ich dich!" Sie umklammerte meinen Hals und drückte zu. Verflucht sei der Tag, als ich dich aus meiner Scheide liess!" Sie schrie mich an, nie habe sie ein Mädchen gewollt, mein Dasein sei auf einen Fehler meines Vaters zurückzuführen, der nicht genügend aufgepasst habe, und während der Schwangerschaft sei es ihr misslungen, mich loszuwerden.

Unsere Familie kämpfte mit finanziellen Schwierigkeiten. Der Verdienst meines Vaters reichte nicht. Einmal mussten wir die letzten Tropfen aus den leeren Ölflaschen sammeln. Mit Wasser vermischt reichte dies gerade noch für einen Tomatensalat. Ein Stück Brot dazu, das war unser Mittagessen. In diesem Stil ging es weiter, immer hielten wir uns irgendwie über Wasser. Andererseits roch ich oft Angebranntes, wenn ich von der Schule kam. Einmal schaute ich nach und entdeckte auf dem Grill mit Stecknadeln gespickte Hasen- oder Hühnerherzen.

Dann eröffnete meine Mutter einen Blumenladen. Die Arbeit um das neue Geschäft erfüllte sie mit Zufriedenheit. Nur zu uns Kindern war sie kalt wie immer. Obwohl wir im Laden oft nur einen halben Meter voneinander entfernt standen, konnte sie tun, als wäre ich Luft. Oft nach Schulschluss und während der Ferien hütete ich den Blumenladen alleine. Wenn sie dann abends kam, schmiss sie mir ein Pack Teigwaren und eine Büchse Fleisch auf den Tisch: "Hier, wenn du Hunger hast, koch und iss." Aber ich kochte alles am darauf folgenden Tag und gab es meinem Hund. Ich selber trank ich nur Zuckerwasser.

Eines Tages sagte sie, falls Zio Saro, der aus Amerika zugewanderte Mafioso, auftauche, solle er wieder kommen, wenn sie da war. Nach einer guten Stunde erschien er wirklich. Ich richtete ihm aus, er solle so freundlich sein, wieder zu kommen, wenn sie zurück war. Er schaute sich um und sagte: "Komm, gehen wir in die Küche und du machst mir einen schönen Kaffee." Wir gingen in die Küche, wobei ich grosse Angst hatte. Was mochte er vorhaben? Rauswerfen konnte ich ihn nicht, denn er war einer der Bosse, und denen begegnet man mit Respekt. Bei uns in Sizilien ist die Mafia Realität. Ich bereitete also Kaffee, und er legte gleich los: "Du bist ein hübsches, ja ein sehr hübsches Mädchen. Ich werde dich glücklich machen. Dann lecke ich dir das Pfännchen. Weisst du, es ist schön zu lecken." Ich schaute angewidert zurück, wusste aber nicht was antworten. Er lachte nur ironisch und schaute mich an, als wollte er mich mit einem Blick verschlingen. Ich servierte den Kaffee, ohne meine Angst zu zeigen. Just als ich mich über den Tisch beugte, packte er meine Hand und zog mich zu sich. "Komm, gib mir einen Kuss. Hab dich nicht so, küss mich!" Mit aller Kraft versuchte ich mich loszureissen. "Nein, ich will nicht", schrie ich, "lass mich in Ruhe!" Aber dieser alte Mann hielt mich mit einer unglaublichen Kraft fest. Er streichelte meine Hand, die Beine, die Brüste, und mit aller Kraft versuchte er, mich zu küssen. Zum Schluss konnte ich nur noch schreien: "Es reicht, geh weg und komm erst wieder, wenn meine Mutter da ist!" Er lachte verlegen: "Ja, ja! Ich geh ja schon." Endlich liess er mich los, ich sprang davon. Da stand ich neben seinem Rolls. Der Chauffeur sah mir an, dass etwas passiert war, blieb aber völlig gleichgültig. Kurz darauf erschien Zio Saro. Ich sollte meiner Mutter ausrichten, er würde ein anderes Mal wieder kommen. Endlich verschwand er, ich lief in die Küche und brach in Tränen aus.

1977 schloss ich die Schule ab und wollte Jura studieren oder Sprachlehrerin werden. Meine Eltern jedoch lehnten beide ab. Meine Mutter gab keinen Grund an, mein Vater meinte, für eine Frau reiche es, lesen und schreiben zu können. Vor allem wollte er verhindern, dass ich mich wie andere am Strand herumtrieb. So arbeitete ich fortan neben meiner Mutter. Ich wusste, dass Bildung für meine weitere Existenz wichtig war, und in der Schule war ich ja gut gewesen. Ich wollte lernen und etwas aus mir machen. Ich wusste, dass ich nicht immer klein bleiben und eines Tages ausziehen würde, und mein Herz war voll grosser Wünsche. Mir stand das Recht zu, aus meinem Leben zu machen, was ich wollte.

(...)

Neuorientierung in der Schweiz

Er meinte, er hätte eine Arbeit für mich. "Super! Was ist das für eine Arbeit?" - "Als Barmaid." - "Klar, warum nicht!" - "Es handelt sich um ein Striplokal." Gleich zweimal schluckte ich leer, aber ich hatte wenig Wahl und war bereit, sofort anzufangen - unter der Bedingung, dass ich mich nicht ausziehen musste.

Liebhaber hatte ich keinen, obschon es an Verehrern nicht mangelte. Ich war jung, hübsch, hatte eine gute Figur und unterhielt mich gerne mich den Leuten. Das kam mir an der Bar zu gute. Auch wenn es schwierig war, hatte ich stets ein Lächeln für die Kunden, obschon mir innerlich oft zum Speien war. Ich lernte das ebenso schnell wie die Kunst, mit alkoholischen Getränken anzustossen, ohne selbst zu trinken. Am Feierabend war ich als einzige noch nüchtern. Das Nachtleben war mit nichts zu vergleichen. Ich sah die Erniedrigungen, die unseren Mädchen widerfuhren und lernte die Männer von einer mir bislang verborgenen Seite kennen. Sie behandelten die Mädchen wie Dreck. Zum Beispiel spendierten sie ihnen erst einen Cocktail, dann fassten sie ihnen ohne weitere Umschweife zwischen die Beine. Ob Bankdirektor, Hotelbesitzer oder sonst in angesehener Position, im Cabaret war dies ohne jede Bedeutung. Hier waren alle gleich. Diese Typen blieben auch für die Privatparties nach Feierabend, an denen manchmal sogar Ehefrauen von Gästen nackt auf der Theke tanzten, was mich fast noch mehr abstiess als das Gehabe ihrer Männer. Die meisten Frauen, die als Stripperinnen dort arbeiteten, viele Asiatinnen, waren mit falschen Versprechungen in die Schweiz gelockt und alsdann zum Striptease und zur Prostitution gezwungen worden. Dabei hatten viele keine Ahnung, wie sich auf der Bühne ausziehen, doch sie waren ihrem Patron ausgeliefert, hatten, nach ihren eigenen Massstäben, ihr Gesicht verloren und konnten ebenso wenig nach Hause zurück wie hier bleiben. Es kam sogar vor, dass eine Frau beim Strippen auf der Bühne losweinte, doch schien das Publikum davon eher noch angeturnt. Sie waren verraten, verdammt, verloren, in erster Linie leidend. Die "Service"-Angestellten überdeckten ihre Misere mit Alkohol, Joints und was weiss ich für Zeug. Gerne wäre ich einfach davongelaufen, doch war ich immer noch auf eine Arbeitsstelle angewiesen, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu behalten. Das Leben lehrte mich hier eine ganz besondere Lektion.

 




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