Leseprobe - Der unwerte
Schatz
Ich wachte auf, weil ich
mal eilig musste. Peter schien fest zu schlafen. Ich kroch aus seinem Bett und ging zur
Tür. Der Topf von Peter mit der Pfütze stand noch da. Ich klopfte gegen die Tür und
hielt meine Hand zwischen die Beine, denn es war sehr dringend.
"Ich muss mal! Hallo, aufmachen! Ich muss mal ganz eilig!", rief ich. Doch es
wäre zu spät. Ich versuchte den Blechtopf zu treffen, es gelang mir nur teilweise.
Trotzdem war ich erleichtert. Peter hustete ganz doll. Jetzt war er doch aufgewacht. Ich
ging zu ihm, denn ich hatte Angst, er könnte ersticken. Ich klopfte ihm auf den Rücken,
weil das auch der Freiherr von Mengen machte, wenn ich mich verschluckt hatte. Nur
allmählich beruhigte sich Peter wieder.
"Lolo", sagte er und schaute mich an. Ich hielt seine Hand fest.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zu unserem Zimmer und Professor Walter kam herein.
"Ich dachte, ich hätte deine Stimme rufen gehört, Hugo?"
"Ich musste mal." Ich stand auf. "Es war aber zu spät. Ich hab in Peters
Topf gemacht. - Na, so ziemlich."
Der Mann schaute zum Topf neben der Tür. "Die meisten hier können nicht ohne Hilfe
zur Toilette gehen. Deshalb gibt es die Töpfe. Unter deinem Bett steht auch einer."
"Ich bin doch kein Baby mehr."
Der Professor hockte sich neben mich und nahm Peters andere Hand. "Ihr versteht euch?
Peter und du, mein ich."
Ich nickte. "Wir haben Eisenbahn gespielt. Er hat gelacht und Lolo gesagt. Er freut
sich, wenn ich mit ihm spiele."
"Er hat was gesagt?"
"Lolo. Er meint die Lokomotive. - Sag mal Lolo, Peter!" Ich schüttelte Peters
Hand.
"Lolo, Lolo ..."
Professor Walter sah Peter erstaunt an. "Das hast du ihm beigebracht?"
"Nein, er hat es von ganz allein gesagt, als wir Lokomotive gespielt haben."
"Wie habt ihr das gespielt?", wollte der Professor wissen.
Ich kletterte in Peters Bett, zog ihn hoch, dass er sitzen konnte und kniete mich hinter
ihn. "Los, Peter, zeig ihm, wie man Eisenbahn spielt!" Dieses Mal hielt sich
Peter an meinen Armen fest. Wieder fuhren wir und nach einem Weilchen begann Peter zu
jauchzen und zu lachen. "Lolo!", rief er. "Lolo!"
"Sehen Sie?" Ich stieg aus dem Bett und setzte mich auf den Hocker. Peter sah
traurig zu mir, weil er gern weitergespielt hätte.
Der Professor schüttelte seinen Kopf. "Das ist erstaunlich, höchst erstaunlich
...", murmelte er.
"Warum bekommt Peter nichts zu essen?", fragte ich nun.
"Wie meinst du das, Hugo?"
"Die Krankenschwestern haben gesagt, dass er nichts bekommt. Der Herr von Rasch hat
es angewiesen. Peter kriegt nur die Spritzen und Tabletten."
"Spritzen und Tabletten? - Was für Tabletten? Was für Spritzen?"
"Sie haben gesagt, es wären Lu..."
"Luminal-Tabletten?"
"Hm. Und dann bekommt er ...", ich musste angestrengt nachdenken, "so was
wie Mor..., ...opola... Ich weiß nicht mehr, es war ein ziemlich langes Wort."
"Morphin-Scopolamin? Haben sie das gesagt?"
Ich nickte. "Ich glaube ja. - Was ist das?"
Professor Walter schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und stand auf. Er lief zum
Fenster und blickte hinaus, ohne dass er etwas sehen wollte. "Und er durfte nichts
Essen?"
"Nein, gar nichts." Ich stand hinter ihm. "Was ist das, Herr
Professor?", fragte ich wieder.
"Lolo!", hörten wir Peter rufen. Er hielt sich mit den Händen an seinem Gitter
fest und blickte zu uns.
Der Professor schaute zu mir herunter. "Ich bin gekommen, weil ich einen Versuch mit
dir machen wollte, Hugo." Er fuhr mit seiner Rechten über meinen Kopf. "Das
heißt, mit Fritz und dir. - Versprecht ihr mir, dass ihr mich nicht belügt?"
Ich sah ihn genau an. Er meinte es ernst. Deshalb nickte ich.
"Ich möchte, dass jetzt nur Fritz mitkommt. Ist das möglich?"
Fritz schaute mich an und nickte.
"Geh nur", flüsterte ich.
Fritz verließ mit Professor Walter unser Zimmer, während ich mich neben Peter hockte und
ihm von unseren Kartoffelferien erzählte.