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Baseball und Tomaten

- Kurzgeschichte -


 
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Abgeschickt von Peter Oliver Bruggert am 28 September, 2006 um 14:14:05

Baseball und Tomaten

By OPB

Was haben Baseball, Tomaten und eine kleine spanische Stadt namens Bunol gemeinsam? Nichts, könnte man annehmen. Doch an einem Tag eines jeden Jahres verwandelt sich Bunol, dass zirka 25 Kilometer westlich von Valencia liegt, in ein rotgefärbtes Tollhaus.

An diesem Tag, es ist der erste Mittwoch im August, steigt die Anzahl der Besucher auf das Sechsfache der Einwohnerzahl, genau genommen auf 30.000.

Als ich das erste Mal Valencia besuchte, da machten mich Freunde darauf aufmerksam, dass es nun bald Ende August wäre und ich wohl nur aus einem Grund in die Stadt der "Fallas" kommen würde. "La Tomatina". Nun, mein Spanisch lies darauf schließen, dass es sich hierbei um etwas tomatiges handeln müsse. Good Boy, selten wurde meine Vorahnung so bestätigt.

Ich möchte nur eines vorweg nehmen. Nach dem Besuch Bunols konnte ich für etwa einen Monat keine Tomaten mehr sehen, riechen oder essen. Keine Spagetti Bolognese, keine Tomaten mit Mozarella, nichts das rot war.

Bunol ist von Valencia aus sehr leicht mit dem Zug zu erreichen. Dort angekommen ist es ein kurzer Weg von der Bahnstation bis in das Zentrum. Zum einen ist es schon erstaunlich, wenn 30.000 Menschen versuchen, sich in die Mitte einer Kleinstadt zu drängen. Zum anderen ist es interessant, wie viele Amerikaner, Australier, Neuseeländer, Engländer und Touristen aus anderen Ländern den Satz "Wenn in der Nähe, dann ein Muss" aus Ihrem Reiseführer wörtlich nehmen. Komischerweise sah ich dort im Gewühl keine Spanier, entweder sind in Spanien Reiseführer selten, oder aber sie wussten schon was dort für ein Chaos herrscht..

Schon viele Meter vor dem eigentlichen Zentrum der Stadt umhüllen die Hausbesitzer die weißgetünchten Fassaden ihrer Häuser mit riesigen Plastikplanen. Es sieht aus, als würde die ganze Gemeinde die Gebäude rundum renovieren. Meine Freunde erklärten mir, dass diese durchsichtigen Planen zum Schutz der Häuser waren und das die Besitzer für diesen Tag Bunol verlassen hätten. Nachdem mir ein paar Sekunden vorher eine Horde angetrunkener Engländer in den Rücken gefallen war und ein reiseführerhaltender Texaner auf den Fuß getreten, verstand ich diese Flucht.

Im Zentrum angekommen nahmen wir am unteren Teil des Marktes Stellung auf, wenn man das Eingequetscht sein zwischen Tausenden von sensationshungrigen Weltenbummlern Stellung nehmen nennen kann. Nun erläuterte man mir die Prozedur der nächsten 60 Minuten. Beim 12 Uhr mittags schlagen der Kirchturmglocke werden fünf große Lastkraftwagen, jeder randvoll gefüllt mit ganzen Tomatenfrüchten, im Schritttempo durch die Mitte des Platzes fahren und langsam ihre Ladung auf den Platz leeren. Von diesem Moment an darf jeder Anwesende für genau eine Stunde jeden mit Tomaten bewerfen. JEDEN! EINE STUNDE! WOW! Während ich mir versuchte vorzustellen wie viele Tomaten auf fünf LKW passten, hielt ich Ausschau nach einem Texaner mit Reiseführer. Er und ich, 120 Tonnen Tomaten! High Noon! Gary Cooper würde vor Neid erblassen.

Von diesem Augenblick an war ich der Mittagsrächer. Meine Sorge, das die Stelle an der ich mich zu diesem Zeitpunkt befand, zu weit vom eigentlichen Geschehen, nämlich der Mitte des Platzes und somit der Tomaten, entfernt war, lies mir keine Ruhe. Beim ersten Schlag der Kirchturmuhr entschied ich mich, die Häuserfront, an der ich lehnte zu verlassen und meinen Weg in Richtung Motorengeräusch zu bahnen. Dies war leichter gedacht als getan, da etwa eintausend Gary Coopers wohl den selben Plan hatten. Nach 10 Metern gab ich den Versuch auf. Eingequetscht und von den hysterischen Schreien der Menschen um mich herum betäubt, entschloss ich mich diesen halben Quadratmeter, auf dem ich stand, nicht mehr herzugeben und auf ein oder zwei Tomaten, die ihren Weg zu mir finden würden, zu warten.

Als der erste Wagen sichtbar wurde und seine rote Ladung entlud gab ich die Hoffnung schon auf, mich bei Mister Texas mit einer Tomate für seinen Fehltritt zu bedanken. Alle hatten ihren Spaß. Alle im Umkreis von 10 Metern um den LKW. Als der zweite Wagen erschien wendete sich das Blatt drastisch. Wäre ich nun wirklich Gary Cooper gewesen und wären nicht so viele Leute um mich gewesen, ich hätte hinter einem alten Holzfass oder im Saloon Deckung nehmen können. Oder ich wäre einfach auf meine Kutsche gestiegen und mit Grace Kelly nach Hause gefahren. So aber musste ich mit ansehen, wie aus dem Zentrum des Platzes Hunderte von roten Geschossen auf mich und meine Nachbarn heranflogen. Es kam mir so vor, als hätte mein Gegner eine Verschwörung angezettelt und jeder Amerikaner in Bunol suchte mich als Ziel aus.

Natürlich wurden auch meine (ich möchte sie nun Leidensgenossen nennen) Mitmenschen in nächster Nähe nicht verschont. Die erste Tomate traf mich an der linken Schulter, die zweite an der linken Wange. Zu diesem Zeitpunkte verwünschte ich mich und meine Idee, meinen sicheren Platz and der Hauswand aufgegeben zu haben. Nur ein Gedanke trieb mich an. Die Flucht nach hinten. Wenn schon kein Holzfass zu meinem Schutz in der Nähe war, so wenigstens etwas mehr Entfernung zum Geschehen, einige hundert Körper und eine feste Wand .

Zwei Minuten später und einige Einschläge auf meinen Hinterkopf mehr erreichte ich die plastikbehangene Festung. Man muss davon ausgehen, das der erste Treffer an meinen Kopf meine Denkfähigkeit drastisch reduziert haben muss. Denn, wie jeder weiß, schützt eine Wand nur, wenn man sich dahinter verbergen kann. Steht man jedoch davor........

Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, das Baseball in Amerika nicht nur ein Volkssport ist. Nein, es ist eine Religion. Es ist der Zeitvertreib Nummer eins in den USA. Väter zeigen ihren Söhnen das Pitchen, oder auch werfen, des Balles noch bevor sie auf der Universität angemeldet wurden. Also im zarten Alter von 12 Monaten. Von diesem Moment an wirft ein amerikanisches Kind mit allem was die Größe eines Baseballs hat, auf alles, das es lohnt zu treffen.

Da stand ich nun. Meine Freunde waren weit und breit nicht zu sehen. Ich wendete meinen Blick von links nach rechts. Dies war auch die Reihenfolge der ersten zwei Einschläge neben mir an der Häuserwand. Eine links rechts Kombination gefolgt von feuchten, roten Spritzern einer flüssigen Masse, die ich Ketchup nenne.

Gary Cooper war weg. Weit, weit weg, irgendwo beim Picknick mit Grace. An seiner Stelle stand nun jemand der sich wie einer der Legionäre Cesars fühlte, der von den Einwohnern eines unbesiegbaren gallischen Dorfes in die Ecke gedrängt wurde und nun die Lektion seines Lebens bekam. Tomaten flogen aus allen Ecken des Platzes in alle Richtungen.

Manche trafen ihr Ziel, manche klatschten an die Wände, manche lösten sich schon während des Fluges in der Luft in ihre Einzelteile auf und regneten als Ketchup auf die Leute hernieder.

Es war leicht, in diesem Menschenauflauf die Amerikaner herauszufiltern. Diese standen mit einer Tomate in der Hand auf einem imaginären Baseballfeld, prüften die Gesamtsituation, nahmen Maß, und warfen ihren roten Ball genauso wie einer der Profipitcher der Boston Red-Socks im entscheidenden letzten Playoff-Spiel der Worldseries. Bang! Und wieder wünschte sich ein getroffenes Opfer, nie von Bunol gehört zu haben, oder zu mindest eine Familienpackung Aspirin in der Tasche zu haben.

Ich wiederhole. 120 Tonnen Tomaten, eine Stunde Zeit, und mehr Baseballprofessionelle als die Oberliga jemals aufnehmen könnte.

Punkt ein Uhr hörte man einen lauten Knall. Das Zeichen des einjährigen Waffenstillstandes. Erlösung! Ein Gefühl der Erleichterung, untermauert von Kopfweh. Erst dann bemerkt man, wie sich die Umgebung verändert hat. Man stellt sich die Fläche von zwei Fußballfeldern vor und den Umstand, dass man bis über die Fußknöchel in einer roten, feuchten Masse steht. Tausende von Menschen stehen umher, von Kopf bis Fuß mit Ketchup beschmiert. Nun versuchen all diese Leute, nach der Stunde der roten Schlacht, ihren Weg nach Hause zu finden. Eine rutschige Angelegenheit, in Anbetracht dessen, das dieses Spektakel Ende August und zur Mittagszeit stattfindet. Man kann sich nur zu gut vorstellen, dass die Sonne ihren Teil dazu beiträgt, dass man sich wie eine Rostbratwurst im Ketchupbad fühlt, und wohl auch so riecht.

Die Veranstalter dieses Festes haben am Ende der Innenstadt auf einem Parkplatz, zirka 100 Meter Wasserrohr auf Stelzen, die zwei Meter über dem Boden ragen, angebracht und alle 50 Zentimeter Löcher in die Rohre gebohrt, sodass dies zur größten Openairdusche Spaniens erkoren werden kann.

Das Problem ist nur, das Tomatenkerne in Ohren und Nase einer intensiveren Behandlung bedürfen. Also, rein in den Sonderzug, zurück nach Valencia, an den Strand und rein in das Meer und tauchen, tauchen und waschen und waschen und waschen, und ab in die Dusche und kurz, es dauert Tage bis die Suche nach Tomatenkernen in Körperöffnungen nicht mehr von Erfolg gekrönt ist.

Meine Freunde fragten mich danach mehrmals, wie mir dieser Ausflug gefallen hätte. Meine Antwort blieb immer die selbe.

Nie wieder Tomaten und der letzte Mittwoch eines jeden Augustes werde ich nicht in Spanien verbringen.

Am nächsten Tag saß ich mit einigen Kameraden auf einer Fähre auf dem Weg zu einer Insel. Einer von ihnen hatte die großartige Idee gehabt, Sachen für Sandwiches mitzubringen. Käse, Toast, Schinken und Tomaten.

Ich werde nie den Gesichtsausdruck meiner Freunde vergessen, als sie mir dabei zusahen, wie ich ohne ein Wort zu sagen die Tomaten Stück für Stück wie ein Pitcher über Bord warf, mich umdrehte, ihnen tief in die Augen starrte und sagte

!Nie wieder Tomaten!

-

ENDE

by TOM OPB




 

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