Lesepage.de

Bücher schreiben

Bücher lesen

 
 

Kassandrarufe und Schwanengesänge
- Elfie Böttger-Bohlen -


Kassandrarufe und Schwanengesänge Kurzbeschreibung

Das Internet läßt nur soviel Nähe zu, wie seine Benutzer bereit sind zu geben. Wenn Menschen sich von einer scheinbaren Wirklichkeit und der damit empfundenen Nähe einnehmen lassen, können sie früher oder später Schiffbruch erleiden.
Berthold Nothnagel, der Held dieser Geschichte, arbeitet in einem Dortmunder Pflegedienst. Nach fünfundzwanzig Ehejahren wird er von seiner Frau Sylvia verlassen. In seiner Einsamkeit und Verzweiflung sitzt er nächtelang vor seinem PC. Nach vielen Jahren der sozialen Isolation in einer festen Beziehung, stellt er plötzlich fest, die Welt ist bunt. Und es ist ihm völlig entgangen, wie sie sich verändert hat. Er findet sich nicht mehr zurecht.

Kommunikation ist etwas anderes geworden, als das was er kennt. Kommuniziert wird anonym. Im Internet. Unter Zuhilfenahme eines Nick-Namens, versteckt hinter dem Glas eines Monitors. Er lernt Kassandra kennen. Doch sein Wunsch, die virtuelle Frau in sein reales Leben hinüber zu holen, wird ihm zum Verhängnis. Die Erzählung entwickelt sich von einer virtuellen Liebesgeschichte zu einem realen Krimi. Eine Reihe von mysteriösen Ereignissen und die dramatische Jagd nach der Wahrheit, treiben Berthold an den Rand des Wahnsinns.

 


Bestellmöglichkeiten und weitere Eizelheiten zum Beispiel hier: amazon.de 


Leseprobe - Kassandrarufe und Schwanengesänge

Aus nach fünfundzwanzig Jahren

Unruhig laufe ich durch das Büro. Fredo liegt unter dem Schreibtisch, die Vorderpfoten ausgestreckt, den Kopf lässig zwischen ihnen ruhend. Seine aufmerksamen Augen verfolgen jeden meiner Schritte. Auf dem Schreibtisch verteilt liegen Akten von Patienten. Sie stapeln sich in diversen Ecken des Raumes auf dem Fußboden, neben dem Kopierer und hinter dem fahrbaren Toilettenstuhlstuhl für Notfälle. Sogar der dunkelblaue AOK-Shopper hält als Ablagefläche her. Die Abrechnungen für die Krankenkassen sind seit Tagen überfällig. Die Steuerberaterin und das Finanzamt kleben mir an den Hacken und ich weiß nicht, wie ich alles geregelt kriegen soll. Die Grenzen zwischen innen und außen sind fließend. Das Chaos des Raumes setzt sich in meinem Innern fort. Oder, vielleicht ist es ja auch so, dass sich das Chaos in meinem Innern im Raum widerspiegelt. Seit Wochen nehme ich mir vor hier aufzuräumen, habe aber keine Kraft dazu. Mein Gehirn ist eine zähe, klebrige Masse. Die Mädels hacken auf mir rum, behaupten, weil sie draußen in der Pflege sind, schaffen sie allein die Kohle ran. Ich sei ein Nichtsnutz und würde mich auf ihren Knochen ausruhen.
„Du hockst gemütlich im Büro, während wir uns draußen den Arsch auf-reißen!“ hat Brigitte mir gestern entgegengeschleudert. Ich hatte keine Kraft, mich zu verteidigen.
„Ach, halts Maul“, dachte ich nur, “du verstehst gar nichts.“
Ich muss aus diesem depressiven Loch raus. Ich muss arbeiten und mich ablenken. Nur nicht denken, nur nicht immer wieder die Frage zulassen, warum Sylvia gegangen ist.
„Reiß dich zusammen alter Junge, du musst das hier zu einem sauberen Abschluss bringen, erst dann kannst du dich durch die Büsche machen. Scheiß anerzogenes Pflichtbewusstsein.“
Als die Türglocke schrillt, springt Fredo auf und kläfft. „Ruhig, Fredo, bist du wohl still!? Ist ja gut, das ist Ulla.“
Ich betätige den Türdrücker, öffne die Bürotür und warte, bis Ulla auf der Treppe erscheint. Fredo sitzt neben mir in korrekter Hundeschulenhaltung.
„Hallo, na ihr Beiden, es ist immer wieder toll, wie ihr mich begrüßt.“ Ulla hockt sich vor Fredo, streckt die Hand aus und flötet ein fröhliches Hallo.
„Gib Pfote, Fredo“, fordere ich meinen Hund auf, „na wird’s was? Gib Pfote!“ Meine Erziehung fruchtet. Außerdem kann er Ulla gut leiden. Formvollendet hebt er die Pfote und lässt sie sich von ihr schütteln. Allerdings vermeidet er dabei den Blickkontakt.
„So ist´s brav mein Kleiner, braver Hund.“
Seit Jahren kommt Ulla nun schon regelmäßig jeden Mittwoch zu mir ins Büro. Sie arbeitet in der Firma Zorrozett. Fachfrauisch versorgt sie unsere Patienten mit den nötigen Hilfsmitteln. Als gelernte Krankenschwester hat sie pflegetechnisch echt was drauf und außerdem ist sie fit wie ein Turnschuh, wenn es darum geht, mit fundierten Widersprüchen der Pflegever-sicherung eins überzubraten. Sie agiert zwar nicht Untertage, ist aber in jeder Beziehung ein toffter Kumpel - und sie hört mir wirklich zu. Die Mittwoche mit ihr sind Termine nach meinem Geschmack. Wir hocken uns an den runden Besuchertisch, schlürfen Kaffee und quatschen ein wenig. Im Laufe der Jahre haben wir so manches Problem von allen Seiten beleuchtet und mindestens hundert Mal verbal die Welt gerettet. Als Ulla mir zur Begrüßung die Hand reicht, steigen mir Tränen in die Augen. Ich fühle mich miserabel. Ihrem kritischen Blick standzuhalten, gelingt mir heute nicht ganz. Ein Kloß im Hals würgt mich. Ein Kloß aus Trauer, Verzweiflung und Machtlosigkeit. Meine Mundwinkel zucken. Ich hole ein Tempo aus der Tasche und putze mir geräuschvoll die Nase.
„Was ist los, Berthold?“ eröffnet sie das Gespräch, „seit Wochen sehe ich, dass es dir schlecht geht. Du hast abgenommen und bist so ernst. Was macht dich weinen?“
Ich bin froh, dass sie das Thema endlich anspricht. Froh, endlich nicht mehr die ´bei-uns-ist-alles-in-Ordnung’ Fassade aufrecht halten zu müssen. Ich hole tief Luft, schlucke ein paar Mal, räuspere mich: „Ich muss dir jetzt mal was erzählen, es fällt mir schwer, aber du solltest es wissen. Und versprich mir... von mir hast du das nicht!“
Schon wieder ist der Kloß da. Man, ist das schwer! Eins, zwei, drei, und - „Sylvia und ich haben uns getrennt. Jetzt stehe ich vor einem Scherben-haufen. Wo wir doch alles hier zusammen aufgebaut haben. Meine ganze Lebensplanung ist zusammen gebrochen. Ich hänge völlig in der Luft und hab keinen Schimmer, wie es weiter gehen soll.“
„Oh, Berthold, das habe ich nicht gewusst. Aber warum? Was ist passiert?“
„Erst habe ich ja geglaubt, sie hat einfach nur viel Arbeit. Du weißt ja, wenn man selbstständig ist, arbeitet man selber - und das ständig. Und so einen Pflegedienst wirtschaftlich zu führen, ist ein ständiger Kampf ums Überleben. Aber dann bin ich ihr mal nachgefahren und da bin ich ihr draufgekommen.“
„Die alte Geschichte, sie hat einen anderen?“
„Ja, und er ist zwanzig Jahre jünger als ich. Ich weiß nicht wie das passieren konnte.“
Ich kann kaum weiter reden und würge den Klos im Hals am Kehlkopf vorbei. So geht’s. „Wir haben uns in letzter Zeit viel gestritten, es gab ja auch nur noch das Thema Patienten und Finanzen. Keine Zärtlichkeiten mehr, keine gemeinsamen Interessen. Aber an so etwas habe ich nie gedacht. Jetzt mache ich mir Vorwürfe. Ich hätte sie nicht so vernachlässigen dürfen. Ich bin für unsere langweilig gewordene, farblose Ehe verantwortlich.“
„Wie lange wart ihr zusammen?“
„Fünfundzwanzig Jahre. Ich hatte mein Leben danach geplant. Hab meinen alten Job aufgegeben und mich hier reingehängt. Hab mich jahrelang bemüht, so unsere Existenz zu sichern. Ich wollte mit ihr alt werden, so tief war ich versunken im Glauben an ein treues Leben zu zweit. Und jetzt kann ich mir nicht vorstellen, dass es sie für mich nicht mehr gibt. Sie hat mir mit ihrem Betrug den Boden unter den Füßen weggezogen.“
Schluchzen schüttelt meinen Körper. Ich nehme meine Brille ab und lege sie vorsichtig auf den Tisch. Mechanisch suche ich in meinen Taschen nach einem Tempo, kann aber keins finden. Wortlos reicht Ulla mir ein Päckchen Taschentücher über den Tisch. Ich ziehe eins heraus, falte es auseinander und drücke es an mein Gesicht.
„Was machst du jetzt? Was wird aus Eurer Firma?“
„Das hier bringe ich zu Ende“, sage ich und deute mit einer ausladenden Armbewegung auf das Chaos im Raum. „Ich will sauber hier raus. Wenigstens in der Beziehung soll Sylvia mir nichts vorwerfen können. Danach bin ich weg. Dann ist es mir egal, was aus dem Laden wird. Ich war schon auf dem Arbeitsamt. Hab mich Arbeit suchend gemeldet. Die Chancen stehen schlecht. Die fragen nur danach, was ich gelernt habe. Die interessiert gar nicht, was ich kann, oder will. Da werde ich jetzt als Pädagoge geführt. Obwohl ich so dagegen protestiert hab. Sie sagen, meine Arbeit hier, die Geschäftsführung und die Büroarbeit, das habe ich nicht richtig gelernt. Hier bin ich nur so rein gewachsen. Das sind Fähigkeiten, die zählen für die nicht. Aber als Pädagoge will ich nicht mehr arbeiten! Die Vorstellung, mich mit halbwüchsigen, aggressiven Jugendlichen herumschlagen zu müssen, macht mir einen Kotzreiz. Die lachen dich doch nur aus, wenn du dir Toleranz und Friedensgesinnung auf die Fahne schreibst. Ich bin froh, dass ich da raus bin. Und um in die Politik zu gehen, bin ich zu alt. Da hätte ich vor zwanzig Jahren mit einem Parteibuch anfangen müssen, so wie andere Kollegen. Ein paar Jahre in der Politik und du bist saniert.“
„An welcher Schule warst du denn?“
„Berufsschule in Recklinghausen. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie es da ab geht. Ist alles nicht so prickelig.“
„Mensch Berthold, das tut mir alles so leid.“
„Ich mach jetzt auch ne Therapie. Nach eingehender Prüfung hat die Thera-peutin beschlossen, dass ich es echt nötig habe. Sie sagt, in meinen Charak-terzügen gäbe es deutliche Hinweise auf einen nicht abgeschlossenen Prozess. Die BKK übernimmt die Kosten. Ich weiß gar nicht, ob ich mich darüber freuen soll.“
„Was ist denn das für eine Therapie? Und was versprichst du dir davon?“
„Ist so eine Art Gesprächstherapie in der Horizontalen. Aufarbeiten der Kindheit und so. Ich will lernen, die Frauen zu verstehen. Ich will einfach nur die Frauen verstehen!“
Ulla macht eine abwinkende Handbewegung. „Vergiss es, Berthold! Vergiss es einfach! Die Frauen werdet ihr Männer nie verstehen. Wir sprechen eine andere Sprache.“

 

Copyright © 2005 - Elfie Böttger-Bohlen

 



  Copyright © Horst Müller - Stendal 2004 - Datenschutz / Nutzungsbedingungen