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Kurzbeschreibung Das Internet läßt nur soviel Nähe
zu, wie seine Benutzer bereit sind zu geben. Wenn Menschen sich von einer scheinbaren
Wirklichkeit und der damit empfundenen Nähe einnehmen lassen, können sie früher oder
später Schiffbruch erleiden.
Berthold Nothnagel, der Held dieser Geschichte, arbeitet in einem Dortmunder Pflegedienst.
Nach fünfundzwanzig Ehejahren wird er von seiner Frau Sylvia verlassen. In seiner
Einsamkeit und Verzweiflung sitzt er nächtelang vor seinem PC. Nach vielen Jahren der
sozialen Isolation in einer festen Beziehung, stellt er plötzlich fest, die Welt ist
bunt. Und es ist ihm völlig entgangen, wie sie sich verändert hat. Er findet sich nicht
mehr zurecht. |
Kommunikation ist etwas anderes
geworden, als das was er kennt. Kommuniziert wird anonym. Im Internet. Unter Zuhilfenahme
eines Nick-Namens, versteckt hinter dem Glas eines Monitors. Er lernt Kassandra kennen.
Doch sein Wunsch, die virtuelle Frau in sein reales Leben hinüber zu holen, wird ihm zum
Verhängnis. Die Erzählung entwickelt sich von einer virtuellen Liebesgeschichte zu einem
realen Krimi. Eine Reihe von mysteriösen Ereignissen und die dramatische Jagd nach der
Wahrheit, treiben Berthold an den Rand des Wahnsinns. |
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Leseprobe - Kassandrarufe
und Schwanengesänge
Aus nach
fünfundzwanzig Jahren
Unruhig laufe ich durch das Büro. Fredo liegt unter dem Schreibtisch, die Vorderpfoten
ausgestreckt, den Kopf lässig zwischen ihnen ruhend. Seine aufmerksamen Augen verfolgen
jeden meiner Schritte. Auf dem Schreibtisch verteilt liegen Akten von Patienten. Sie
stapeln sich in diversen Ecken des Raumes auf dem Fußboden, neben dem Kopierer und hinter
dem fahrbaren Toilettenstuhlstuhl für Notfälle. Sogar der dunkelblaue AOK-Shopper hält
als Ablagefläche her. Die Abrechnungen für die Krankenkassen sind seit Tagen
überfällig. Die Steuerberaterin und das Finanzamt kleben mir an den Hacken und ich weiß
nicht, wie ich alles geregelt kriegen soll. Die Grenzen zwischen innen und außen sind
fließend. Das Chaos des Raumes setzt sich in meinem Innern fort. Oder, vielleicht ist es
ja auch so, dass sich das Chaos in meinem Innern im Raum widerspiegelt. Seit Wochen nehme
ich mir vor hier aufzuräumen, habe aber keine Kraft dazu. Mein Gehirn ist eine zähe,
klebrige Masse. Die Mädels hacken auf mir rum, behaupten, weil sie draußen in der Pflege
sind, schaffen sie allein die Kohle ran. Ich sei ein Nichtsnutz und würde mich auf ihren
Knochen ausruhen.
Du hockst gemütlich im Büro, während wir uns draußen den Arsch
auf-reißen! hat Brigitte mir gestern entgegengeschleudert. Ich hatte keine Kraft,
mich zu verteidigen.
Ach, halts Maul, dachte ich nur, du verstehst gar nichts.
Ich muss aus diesem depressiven Loch raus. Ich muss arbeiten und mich ablenken. Nur nicht
denken, nur nicht immer wieder die Frage zulassen, warum Sylvia gegangen ist.
Reiß dich zusammen alter Junge, du musst das hier zu einem sauberen Abschluss
bringen, erst dann kannst du dich durch die Büsche machen. Scheiß anerzogenes
Pflichtbewusstsein.
Als die Türglocke schrillt, springt Fredo auf und kläfft. Ruhig, Fredo, bist du
wohl still!? Ist ja gut, das ist Ulla.
Ich betätige den Türdrücker, öffne die Bürotür und warte, bis Ulla auf der Treppe
erscheint. Fredo sitzt neben mir in korrekter Hundeschulenhaltung.
Hallo, na ihr Beiden, es ist immer wieder toll, wie ihr mich begrüßt. Ulla
hockt sich vor Fredo, streckt die Hand aus und flötet ein fröhliches Hallo.
Gib Pfote, Fredo, fordere ich meinen Hund auf, na wirds was? Gib
Pfote! Meine Erziehung fruchtet. Außerdem kann er Ulla gut leiden. Formvollendet
hebt er die Pfote und lässt sie sich von ihr schütteln. Allerdings vermeidet er dabei
den Blickkontakt.
So ist´s brav mein Kleiner, braver Hund.
Seit Jahren kommt Ulla nun schon regelmäßig jeden Mittwoch zu mir ins Büro. Sie
arbeitet in der Firma Zorrozett. Fachfrauisch versorgt sie unsere Patienten mit den
nötigen Hilfsmitteln. Als gelernte Krankenschwester hat sie pflegetechnisch echt was
drauf und außerdem ist sie fit wie ein Turnschuh, wenn es darum geht, mit fundierten
Widersprüchen der Pflegever-sicherung eins überzubraten. Sie agiert zwar nicht
Untertage, ist aber in jeder Beziehung ein toffter Kumpel - und sie hört mir wirklich zu.
Die Mittwoche mit ihr sind Termine nach meinem Geschmack. Wir hocken uns an den runden
Besuchertisch, schlürfen Kaffee und quatschen ein wenig. Im Laufe der Jahre haben wir so
manches Problem von allen Seiten beleuchtet und mindestens hundert Mal verbal die Welt
gerettet. Als Ulla mir zur Begrüßung die Hand reicht, steigen mir Tränen in die Augen.
Ich fühle mich miserabel. Ihrem kritischen Blick standzuhalten, gelingt mir heute nicht
ganz. Ein Kloß im Hals würgt mich. Ein Kloß aus Trauer, Verzweiflung und
Machtlosigkeit. Meine Mundwinkel zucken. Ich hole ein Tempo aus der Tasche und putze mir
geräuschvoll die Nase.
Was ist los, Berthold? eröffnet sie das Gespräch, seit Wochen sehe
ich, dass es dir schlecht geht. Du hast abgenommen und bist so ernst. Was macht dich
weinen?
Ich bin froh, dass sie das Thema endlich anspricht. Froh, endlich nicht mehr die
´bei-uns-ist-alles-in-Ordnung Fassade aufrecht halten zu müssen. Ich hole tief
Luft, schlucke ein paar Mal, räuspere mich: Ich muss dir jetzt mal was erzählen,
es fällt mir schwer, aber du solltest es wissen. Und versprich mir... von mir hast du das
nicht!
Schon wieder ist der Kloß da. Man, ist das schwer! Eins, zwei, drei, und - Sylvia
und ich haben uns getrennt. Jetzt stehe ich vor einem Scherben-haufen. Wo wir doch alles
hier zusammen aufgebaut haben. Meine ganze Lebensplanung ist zusammen gebrochen. Ich
hänge völlig in der Luft und hab keinen Schimmer, wie es weiter gehen soll.
Oh, Berthold, das habe ich nicht gewusst. Aber warum? Was ist passiert?
Erst habe ich ja geglaubt, sie hat einfach nur viel Arbeit. Du weißt ja, wenn man
selbstständig ist, arbeitet man selber - und das ständig. Und so einen Pflegedienst
wirtschaftlich zu führen, ist ein ständiger Kampf ums Überleben. Aber dann bin ich ihr
mal nachgefahren und da bin ich ihr draufgekommen.
Die alte Geschichte, sie hat einen anderen?
Ja, und er ist zwanzig Jahre jünger als ich. Ich weiß nicht wie das passieren
konnte.
Ich kann kaum weiter reden und würge den Klos im Hals am Kehlkopf vorbei. So gehts.
Wir haben uns in letzter Zeit viel gestritten, es gab ja auch nur noch das Thema
Patienten und Finanzen. Keine Zärtlichkeiten mehr, keine gemeinsamen Interessen. Aber an
so etwas habe ich nie gedacht. Jetzt mache ich mir Vorwürfe. Ich hätte sie nicht so
vernachlässigen dürfen. Ich bin für unsere langweilig gewordene, farblose Ehe
verantwortlich.
Wie lange wart ihr zusammen?
Fünfundzwanzig Jahre. Ich hatte mein Leben danach geplant. Hab meinen alten Job
aufgegeben und mich hier reingehängt. Hab mich jahrelang bemüht, so unsere Existenz zu
sichern. Ich wollte mit ihr alt werden, so tief war ich versunken im Glauben an ein treues
Leben zu zweit. Und jetzt kann ich mir nicht vorstellen, dass es sie für mich nicht mehr
gibt. Sie hat mir mit ihrem Betrug den Boden unter den Füßen weggezogen.
Schluchzen schüttelt meinen Körper. Ich nehme meine Brille ab und lege sie vorsichtig
auf den Tisch. Mechanisch suche ich in meinen Taschen nach einem Tempo, kann aber keins
finden. Wortlos reicht Ulla mir ein Päckchen Taschentücher über den Tisch. Ich ziehe
eins heraus, falte es auseinander und drücke es an mein Gesicht.
Was machst du jetzt? Was wird aus Eurer Firma?
Das hier bringe ich zu Ende, sage ich und deute mit einer ausladenden
Armbewegung auf das Chaos im Raum. Ich will sauber hier raus. Wenigstens in der
Beziehung soll Sylvia mir nichts vorwerfen können. Danach bin ich weg. Dann ist es mir
egal, was aus dem Laden wird. Ich war schon auf dem Arbeitsamt. Hab mich Arbeit suchend
gemeldet. Die Chancen stehen schlecht. Die fragen nur danach, was ich gelernt habe. Die
interessiert gar nicht, was ich kann, oder will. Da werde ich jetzt als Pädagoge
geführt. Obwohl ich so dagegen protestiert hab. Sie sagen, meine Arbeit hier, die
Geschäftsführung und die Büroarbeit, das habe ich nicht richtig gelernt. Hier bin ich
nur so rein gewachsen. Das sind Fähigkeiten, die zählen für die nicht. Aber als
Pädagoge will ich nicht mehr arbeiten! Die Vorstellung, mich mit halbwüchsigen,
aggressiven Jugendlichen herumschlagen zu müssen, macht mir einen Kotzreiz. Die lachen
dich doch nur aus, wenn du dir Toleranz und Friedensgesinnung auf die Fahne schreibst. Ich
bin froh, dass ich da raus bin. Und um in die Politik zu gehen, bin ich zu alt. Da hätte
ich vor zwanzig Jahren mit einem Parteibuch anfangen müssen, so wie andere Kollegen. Ein
paar Jahre in der Politik und du bist saniert.
An welcher Schule warst du denn?
Berufsschule in Recklinghausen. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie es da ab
geht. Ist alles nicht so prickelig.
Mensch Berthold, das tut mir alles so leid.
Ich mach jetzt auch ne Therapie. Nach eingehender Prüfung hat die Thera-peutin
beschlossen, dass ich es echt nötig habe. Sie sagt, in meinen Charak-terzügen gäbe es
deutliche Hinweise auf einen nicht abgeschlossenen Prozess. Die BKK übernimmt die Kosten.
Ich weiß gar nicht, ob ich mich darüber freuen soll.
Was ist denn das für eine Therapie? Und was versprichst du dir davon?
Ist so eine Art Gesprächstherapie in der Horizontalen. Aufarbeiten der Kindheit und
so. Ich will lernen, die Frauen zu verstehen. Ich will einfach nur die Frauen
verstehen!
Ulla macht eine abwinkende Handbewegung. Vergiss es, Berthold! Vergiss es einfach!
Die Frauen werdet ihr Männer nie verstehen. Wir sprechen eine andere Sprache.
Copyright © 2005 - Elfie
Böttger-Bohlen
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